Donnerstag, Mai 27

Auf dem Weg ...

Der schwache Schein der Straßenlaterne erhellte kaum richtig den Weg.
Überall um mich herum waren Geräusche. Die bellenden Hunde der Nachbarschaft, die abfahrenden Züge am Bahnhof, die gelegentlich vorbeifahrenden Autos. All das nahm ich kaum war. Ich setzte zielstrebig einen Fuß vor den anderen. Diese Strecke war mir so vertraut, das ich sie im Schlaf hätte gehen können. Sie war für mich schon eine Art Ritual geworden.
Immer wenn ich von meinen Großeltern nach Hause ging, nahm ich diesen Weg. Er war vielleicht nichts besonderes, aber er war mir vertrauter als manche Straße meines eigenen Bezirks.
Während ich ging lies ich meine Gedanken schweifen, wie ich es doch so oft tue, wenn ich irgendeinen Fußweg vor mir habe, auf dem ich allein bin.
Es ist für mich eine wunderbare Art nachzudenken, zu realisieren und zu verstehen. Ich liebe das Gefühl, ganz ehrlich sein zu können. So sehr man sich auch bemüht, irgendwie bleibt man trotzdem selten bei der Wahrheit. Sogar wenn es nur um einen selbst geht.
Doch in diesen Momenten habe ich mich für mich ganz allein. Ich muss mich nicht mehr vor mir selbst verstellen.
Viele wichtige Entscheidungen in meinem Leben habe ich in solchen Momenten getroffen. Sie sind der perfekte Quell der inneren Ruhe für mich. Der Körper abgelenkt durch den Fußmarsch und die Gedanken einfach hängen gelassen.
Wer hätte gedacht, das Frieden so einfach sein kann. Ein kleiner Spaziergang, mehr nicht.
Der Weg lag lang und grau vor mir.
Ich ging von Lichtkegel zu Lichtkegel unter den Laternen entlang. Ich hatte sie noch nie gezählt, aber was hatte ihre Zahl schon für eine Bedeutung.
Mir schossen erneut die Bilder des letzten Tages durch den Kopf.
Der kleine helle Sarg in den Armen meine Onkels. Die Tränen auf dem Gesichtern all meiner Verwandten.
Ich schüttelte den Kopf. Jetzt war keine Zeit Trübsal zu blasen. Außerdem musste ja wenigstens einer einen gefassten Eindruck machen. An wem sollten sich die anderen sonst stützen.
Eigentlich ironisch so eine Feier, wenn am Tag zuvor ein zwei Monate altes Mitglied der Familie zu Grabe getragen wurde. Aber hätte irgendjemand ahnen können was passierte ?
Schließlich war es der 60. Geburtstag meiner Oma. Da war keine schlechte Stimmung erwünscht. Sogar Leas Eltern wirkten überraschend gefasst.
Dafür beneidete ich sie. Ich war mir sicher das sie dieses sichere, starke Gefühl nur nach außen hin gezeigt hatten, um von ihrem inneren abzulenken. Ich wünschte ich könnte das so überzeugend.
Langsam kam der Bahnhof in Sicht und damit das Ende meiner Ruhe. Ein ungeduldiger Blick auf mein Handy verriet mir das ich noch 3 Minuten hatte, bis meine Bahn käme.
Trotzdem kein Grund zu trödeln.
Dieser Stress. Ich hatte den Abend eigentlich ziemlich genossen. Alles hatte zwar recht hektisch begonnen, da alles noch fertig dekoriert werden musste, aber als alles getan war, wurde es ein echt netter Abend.
Ich muss zugeben das ich, wie gewöhnlich, einen Teil des Abends garnicht mitbekommen habe, da ich am Computer saß und mich anderweitig beschäftigte, doch das bedeutete nicht das ich nicht trotzdem viel dabei war.
Ich rieb mir den Magen. Ich hatte schon wieder zu viel gegessen. Man will es aber auch allen recht machen und von allem etwas probieren. Ich ärgerte mich über mich selbst. Jedesmal der selbe Fehler.
Bei einem raschelndem Geräusch aus den Büschen mir zuckte ich kurz zusammen. Der Adrenalinstoß fühlte sich gut an. Jedoch war er nicht so stark wie er hätte sein sollen. Wahrscheinlich war ich durch das ständige Horror-Shooter spielen inzwischen daran gewöhnt.
In mir kam ein komisches Gefühl auf.
"Ein harter Mann wäre wohl kaum zusammengezuckt du Schwächling" dachte ich.
Und damit war es geschehen. Damit geriet ich erneut an eines der Themen, die ich stets zu vermeiden versuche, weil ich weis, dass sie mir einfach nur weh tun und nichts neues dabei heraus kommt.
Ich habe oft das Gefühl das ich gern jemand anderes wäre. Oder zumindest das ICH gern anders wäre. Oft habe ich dieses Gefühl, wenn ich von jemandem merke das ihm meine Art oder Persönlichkeit nicht ganz so gefällt.
Ich bin wer ich bin und das kann ich nicht ändern.
Doch vielleicht könnte ich ja zumindest ein bisschen anders werden damit ich wenigstens ihr ein wenig ...
Ein Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Eine Bahn fuhr in den Bahnhof ein. Ich sah auf die Uhr.
Typisch ! Sie kam 2 Minuten zu früh.
Der Weg zum Bahnsteig war zu weit. Diese Bahn konnte ich vergessen.
Als ich am Bahnsteig ankam, sah ich nur noch die Rücklichter des letzten Waggons im Dunkeln verschwinden.
Ich lies mich auf den schwarzen ungemütlichen Metallbänke nieder.
"Na toll", dachte ich "weitere 20 Minuten zum nachdenken. Und das gerade bei diesem Thema" ...

Mittwoch, Mai 26

Liebe Lea ...

Es ist unglaublich wie wiedermal ein kleines Erlebnis mein ganzes Denken auf den Kopf gestellt hat. Eine Sache die es irgendwie wieder geschafft hat alles aus dem Ruder zu bringen.

"Viel zu früh !" dachte ich und schaute auf die traurigen Gesichter meiner Verwandten. "Ich wusste doch das es von Anfang an klar war. Wieso nimmt es mich dann trotzdem so mit ?"
Ich schloss die Augen. Das konnte ich kaum noch ertragen. Darum habe ich etwas gegen Beerdigungen. Sie machen alles nur noch schlimmer.
Viel zu oft hatte der Pfarrer betont das sie von uns gegangen ist. Eine Beerdigung ist in etwa so als ob man die Wunde aufreist, nur um sie sich nochmal anzusehen. Aber das ist nur meine Ansicht.

Ich öffnete die Augen und sah zu wie die ersten Angehörigen begannen Erde und teilweise auch Blumen in das offene Grab zu werfen. Jeder einzelne hatte einen anderen Gesichtsausdruck, doch im Grunde alle aus dem selben Grund. Lea.
Die Reihe schritt fort. Gleich würde ich an die Reihe kommen. Fast schon verzweifelt ging ich in Gedanken durch was ich sagen, was ich tun sollte.

Ich weis in solchen Situationen nie was ich tun soll. Meistens entschließe ich mich dann, einfach garnichts zu tun, da alles das ich tun könnte, wahrscheinlich nur falsch verstanden werden würde. Im Nachhinein heisst es dann oft wie kaltherzig und kein bisschen rücksichtsvoll das gewesen wäre. Aber ich versuche es mir nicht zu Herzen zu nehmen.

Nur noch zwei Leute standen vor mir in der Schlange. Langsam wurde mir heiss und kalt. Gleich würde ich an der Reihe sein. Würde ich einen Fehler machen ? Irgendetwas dummes ?

Ich lege mir gern in meinem Kopf Worte zurecht die ich in einer bestimmten Situation sagen will. Doch meistens wird daraus dann doch nichts.
In diesem Fall fiel es mir schwer. Ich kannte sie kaum. Ich hatte sie nur 1 mal, vielleicht 2 mal gesehen.
Ich bekam Schuldgefühle. Mein ganzes Inneres zog sich zusammen. Hatte ich etwas falsch gemacht ? Hätte ich mich mehr mit ihr beschäftigen müssen ?
Was hätte ich für sie tun können ? Was konnte ich jetzt noch für sie tun ?

Zwischen mir und dem Grab war nur noch eine Person. Meine Mutter, die schon die ganze Zeremonie lang versuchte nicht zu sehr zu weinen, nahm erstaunlich gefasst eine Hand voll Erde.

Ja, was konnte ich jetzt noch für sie tun ?
Ich hatte mich zusammengerissen. Ich war in der Andacht vor ihrer Beisetzung selbst von mir erstaunt gewesen.
Ohne blasphemisch klingen zu wollen, aber ich glaube nicht an Gott. Ich halte es für möglich, sogar für recht realistisch das es da etwas gibt. Aber etwas das soweit von unserer Vorstellungskraft liegt, das wir es nie verstehen werden. Diese Personifizierung einer höheren Macht fand ich schon eine Weile unerträglich. Die Kirche spricht sich oft gegen Sekten und andere Kulte aus, aber in meinen Augen ist sie selbst nichts anderes.
Was sollte es einer höheren Macht bringen, wenn irgendwo auf der Erde eine Gruppe Menschen monoton einen von vielen Versen herunterleiern ?
Außerdem finde ich vieles an den Religionen einfach nur empörend. Fast immer gibt es Bedingungen. Regeln und Gebote. "Wenn du das tust, wird dir dies wiederfahren".
Natürlich kann ich verstehen das sich viele Menschen an ihren Glauben stützen und ich finde es auch gut, wenn man erkannt hat das es das richtige für einen ist.
Doch für mich ist das alles nichts. Ich kann den Gedanken nicht ertragen von etwas abhängig zu sein.

Meine Mutter trat vom Grab zurück. Ich wusste jetzt war ich an der Reihe. Mit langsamen Schritten ging ich auf das Grab zu.

Ich hatte alles getan was ich jetzt, wo es zu spät war, noch für sie tun konnte. Ich hatte mich der Andacht voll und ganz gewidmet. Auch wenn ich es sonst für totalen Unfug hielt, hatte ich mit vollem Herzen daran teilgenommen. Ich glaubte was der Pfarrer erzählte. "Gott hat ihre Seele zu sich gerufen".
Ich habe zum ersten mal seit einer Ewigkeit wirklich gebetet. Gebetet das es dort etwas gibt. Etwas, wo sie es gut hätte. Irgendetwas. Nur um beruhigt zu sein das es ihr, dort wo sie jetzt war, gut ginge. mehr konnte ich wirklich nicht mehr für sie tun.

Ich stellte mich mit einem tiefen Stechen in der Brust vor das Grab. Nun realisierte auch mein Körper was geschehen war. Ich nahm ein wenig Erde in meine Hand und Streute sie in das offene Grab.
Nach und nach schossen mir wieder die Bilder in den Kopf. Der lange Zug aus Menschen die den Sarg zum Grab begleiteten. Das traurige Gesicht meiner Mutter, die sich unter Tränen in meinen Arm krallte. Die Tränen in den Augen von Leas Eltern. Bilder die ich wohl nie werde vergessen können.

Doch so sehr mich all dies auch mitnimmt. Ich weis, Trauer ist wichtig. Wie sonst sollte man all die schlechten Ereignisse verarbeiten die einem tagtäglich wiederfahren können !?
Mir blieb nur zu Hoffen das sich niemand zu sehr in die Trauer hineinsteigert und daran zerbricht.

Alles verlief vor meinen Augen wie in Zeitlupe. Jedes einzelne Sandkorn schien eine Ewigkeit zu fallen. Ich sprach nicht, doch ging in Gedanken die Worte durch, die ich mir bereitgelegt hatte.

"Liebe Lea, du hattest so wenig Zeit. Mit dir vergehen zu viele Möglichkeiten, zu viel Hoffnung und zu viele Träume. Sie alle hätten gelebt werden sollen. Ich hoffe nur, das du sie da, wo du nun bist verwirklichen kannst. Und hoffentlich wird es schön. Du hast es verdient."

Mir wurde heute wieder bewusst wie besonders das Leben ist.
Ständig sterben überall auf der Welt Menschen, doch es scheint keiner so wirklich zu realisieren. Ist ein Leben nicht eigentlich zu kostbar, um einfach so dahinzugehen ? Ist nicht jedes einzelne Leben und sei es noch so klein kostbar ? Müsste man nicht jedes einzelne Leben mehr respektieren und schätzen ?
Natürlich müsste man. Aber würde man das tun, würde man sich wahrscheinlich selbst töten, um kein anderes Leben in Gefahr zu bringen. Es würde einen mindestens innerlich zerbrechen. Darum sollte es keinem geraten sein.

Ich kniete nieder und legte meine Blume neben das Grab, zu den anderen prächtigen Blumensträußen, die am Rand des Grabes zu Hauf lagen.
Ich erhob mich, drehte mich um und schritt langsam davon. Davon von Leas Grab.
Lea, die mit offenem Rücken geboren und so von Anfang an zum Tode verdammt war.
Lea, die grade mal knappe zwei Monate alt war.
Lea, meine Cousine, die ich nie kannte und nun auch nie kennen werde.
Dies ist geschrieben im Andenken an dich.
Zumindest solange ich lebe, wirst du nie vergessen sein.

Samstag, Mai 8

Aber ich dachte ...

Irren ist menschlich sagt man.
Das habe ich gerade selbst wieder erlebt. Und das sogar gleich zweimal direkt hintereinander.
Wir machen uns oft viele Gedanken über alles Mögliche. Ich selbst bin da keine Ausnahme, im Gegenteil ich mache das wohl häufiger als manch anderer. Worauf ich aber hinaus möchte ist, das wir uns oft vorschnell ein Bild über etwas machen. Teils wohl um uns weiteres Nachdenken darüber zu ersparen, teils um sagen zu können, dass man es verstanden hat. Denn niemand wirkt klüger als jemand der schnell alles versteht.
Es kann zwar von Vorteil sein sich schnell ein Bild zu machen. So kann es mich wohl beschützen wenn ich durch eine dunkle Straße gehe und mir ein paar zwielichtige Gestalten entgegenkommen, sie sofort als gefährlich einzustufen.
Doch wenn ich etwas mehr Zeit habe um zu reagieren, die Umstände bessere sind und ich nichts Schlimmes zu befürchten habe, verstehe ich mich sofort wunderbar mit jemandem.
Das ist eigentlich ein Schutzreflex, aber er verleitet einen leider nur allzu oft dazu sich ein falschen Bild über etwas und jemanden zu machen.
Hierzu passen besagte Erlebnisse wunderbar:
1. Ein Freund von mir (übrigens ein wunderbarer Freund, gebildeter und sehr tiefsinnig denkender und gleichzeitig ziemlich lustiger Typ) hat in seinem Post eine Aussage geschrieben die er als Verhalten und die Denkweise von "Emos" beschreibt.
Doch ich denke das diese Ansicht wohl ziemlich durch Vorurteile und Klischees geprägt ist. So ist man nicht "Emo" wenn man wie er sagt "Sein Leben aus seiner Sicht Scheiße findet". Das ist leider eine Ansicht die viel zu weit verbreitet ist. Diese Szene bedeutet mehr eine starke "emo"tionalität und das beschäftigen mit Gefühlen. Doch genaueres würde jetzt zu weit ausschweifen.
http://painsgedanken.blogspot.com/
2. Hier muss ich mir an die eigene Nase fassen.
Undzwar habe ich ja schon einige Male darüber geschrieben das ich unsere Spezies nicht als besser oder höhergestellt ansehe, ihr jedoch ein besonderes Denken zuordne das sie hervorhebt. Und die habe ich oft in Verbindung mit Liebe geschrieben.
Nachdem ich ein Video entdeckt habe muss ich meine Meinung darüber wohl ändern und überdenken.

Um kurz die Story des Videos zu erläutern:
Ein Kater und eine Katze streichen gemeinsam durch die Straßen einer türkischen Stadt, als die Katze plötzlich angefahren wird. Daraufhin versucht der Kater sie durch eine Art Herzmassage wiederzubeleben. Das dies keine Früchte trägt, kuschelt er sich an sie und beschützt sie durch lautes Fauchen und Krallenhiebe vor sich nähernden Passanten.
http://www.youtube.com/watch?v=GAaH_HlUD68&feature=player_embedded#
Für mich hat diese Geschichte die Aussage "Das ist wahre Liebe". Und das es Liebe nicht nur für unsere "Art" gibt.
Man könnte natürlich sagen, dass sie sich beschützen, da sie verwandt sind oder ähnliches, doch selbst dann wäre es für mich Liebe. Denn wie ich im letzten Post erwähnt habe, ist Liebe nicht immer "Die Liebe".

Ich finde es ist ein Wunderbares Beispiel um zu begreifen das Liebe einfach überall vorhanden ist und überall eine Rolle spielt.
Und diese kleine Geschichte hat einen Großteil meines
Denkens auf den Kopf gestellt und lässt mich seitdem vieles neu überdenken.
Ich finde an diesen beiden Beispielen sieht man das sich Menschen irren, aber das man dadurch auch neue Seiten entdecken kann.
Denn wenn ich mich auf eine Meinung festgesetzt habe und diese dann mit einem Beweis gestört oder gar ganz umgeworfen wird, dann denke ich mit Sicherheit noch einmal darüber nach.
Hätte ich mir keine Meinung gebildet und würde dann mit besagtem Beweis konfrontiert würde ich es einfach so hinnehmen wie er es darstellt. Ich wäre nicht angereizt mich intensiver mit diesem Thema zu beschäftigen. Denn wenn etwas gegen meine Meinung ist und überzeugend ist, dann ärgere ich mich vielleicht darüber, doch ich schenke ihm gerade dadurch Aufmerksamkeit.
Vielleicht waren die Grundzüge oder einzelne Gedanken meiner
ursprünglichen Meinung garnicht so falsch und mussten einfach nur vervollständigt werden !?
Das Denken ist so komplex und benötigt es, sich regelmäßig zu aktualisieren. Denn eins wird denke ich immer unverändert bleiben. Wir wollen die Welt verstehen.